Mein Statement zum Unfall in Altenberg
Gerne möchte ich ein Statement zu meinem schweren Unfall am 13.02.2024 pos-ten. Für viele von euch ist es vermutlich nicht mehr allzu präsent, aber für mich ist es immer noch allgegenwärtig. Jeden Tag werde ich durch die Therapien, die Einschränkungen im Alltag oder die riesigen Narben, die meinen Körper nun zeichnen, daran erinnert. Meine Ziele sind erstmals ohne Gehstock laufen zu können und zu versuchen, den Weg zurück in den Sport zu finden. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich etwas schreiben soll oder nicht. Letztendlich bin ich zum Entschluss gekommen, mich zu äussern, da mich die Situation stärker belastet, als ich mir eingestehen möchte. Ich habe diverse Fragen, auf die ich bis heute keine vernünftige Antwort erhalten habe.
Aber zunächst einmal, was ist genau passiert?
Unser Viererbob ist im Training auf der Bahn in Altenberg im unteren Bahnteil gestürzt und ich bin aus dem Bob gefallen. Der auf der Seite liegende Bob schlitterte mit meinen drei Teamkollegen ungebremst weiter und da die Bahn im Zielbereich bergauf geht, rutschte er in der Bahn zurück, wo er mich überfuhr. Neben diversen Rippenbrüchen, einem gebrochenen Schulterblatt, abgeschlagenen Muskeln am Brustkorb, erheblichem Blutverlust und einem Lungenflügel, der sich mit Blut gefüllt hat, hat es mich vor allem im Hüftbereich schlimm erwischt. Im Bericht steht, dass die Wunde 35 cm x 50cm gross war. Der Hüftknochen war ausgekugelt und sichtbar. Mein Bein hing lediglich noch an etwas Haut und einigen Muskelsträngen. Nur dank der hervorragenden Reaktion der Rettungskräfte vor Ort und der unglaublichen Arbeit der Ärzte in Dresden bin ich am Leben und hab noch beide Beine. Dafür bin ich unendlich dankbar!
Hauptsächlich beschäftigt mich die Frage, WESHALB es so weit kommen musste?
Bereits am Morgen vor unserem Sturz gab es an derselben Stelle einen schweren Sturz des Teams Lochner. Auch sie haben einen Anschieber aus dem Bob verloren, der bewusstlos in der Bahn liegen geblieben ist. Nur mit viel Glück konnten die Teamkollegen, die noch im Schlitten waren, das Zurückrutschen verhindern und so ihren Kollegen vor einem Überfahren retten. Bereits sie intervenierten bei der Bahn und äusserten, dass genügend Leute an diesem Ort stehen müssen, die im Falle eines Sturzes helfen können. Allerspätestens zu dem Zeitpunkt hätte man doch sehen müssen, was passieren kann. Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum man auf den Vorfall am Morgen nicht eingegangen ist und nicht alles darangesetzt hat, eine Wiederholung zu verhindern.
Gemäss Statement des Bahnchefs trifft die Bahn keine Schuld und er forderte eine generell bessere Ausbildung der Athleten/Athletinnen sowie schmalere Kufen, damit die Bobs nicht mehr ganz so schnell sind. Wie eine bessere Ausbildung der Athleten/Athletinnen verhindern kann, dass gestürzte Schlitten zurück rutschen, ist nicht nur mir ein Rätsel und wenn sogar Piloten wie Lochner und Vogt stürzen, hat das meiner Meinung nach nichts mit der Ausbildung zu tun (zwei der besten Piloten auf der Tour). Meiner Meinung nach müssten im Auslauf gut ausgebildete Bahnarbeiter mit entsprechendem Hilfsmaterial postiert werden, die ein Zurückrutschen unter allen Umständen verhindern können. Wäre dies in einem Ausnahmefall nicht möglich, sollten Hilfskräfte einen bewusstlosen Athleten aus der Bahn nehmen können.
Auch geforderte Anpassungen am Material, damit die Schlitten nicht so schnell sind, kann ich nur bedingt verstehen. Da wäre es viel einfacher, die Bahn nicht so schnell zu präparieren. Im besagten ersten Weltcup-Training wurde die Bahn jedoch bereits unglaublich schnell präpariert. Nach unserem Unfall wurde die Bahn deutlich verlangsamt. War den Betreibern eine schnelle Zeit etwa wichtiger als das Wohlergehen der Athleten? Stürze passieren, auch wenn die Bahn oder das Material deutlich langsamer sind. Zwar kommen Stürze in unserem Sport vor, doch der vorliegende Sturz passierte nur und war so heftig, weil die Bahn für einen ersten Trainingslauf viel zu schnell präpariert war. Es kommt nur selten vor, dass ein Anschieber bei einem Sturz aus dem Schlitten fällt. Es geht mir zudem vor allem darum, was nach unserem Sturz passiert ist oder was eben seitens Bahn unterlassen wurde.
Weshalb wurde das „Sicherheitskonzept“ der Bahn Altenberg von der IBSF bewilligt?
Nach meinem Verständnis sieht das Konzept vor, dass die gestürzten Schlitten zurückrutschen und am tiefsten Punkt aus der Bahn genommen werden. Jedoch be-steht immer ein gewisses Risiko, dass bei einem Sturz jemand aus dem Schlitten fällt und in der Bahn liegen bleibt. Ich frage mich darum, ob hier ein solcher Unfall ein-fach in Kauf genommen wurde? Eine hundertprozentige Sicherheit kann in unserem Sport nicht garantiert werden. Dies ist mir und jedem Athleten bewusst. Doch hier wurde meiner Meinung nach doch extrem fahrlässig gehandelt. Vor allem wenn man bedenkt, dass nach dem schweren Sturz des Teams Lochner am Morgen nichts unternommen wurde und die Verantwortlichen keinerlei Reaktionen oder Änderungen vorgenommen haben.
Bis jetzt habe ich von der Bahn Altenberg nichts gehört und auch von der IBSF habe ich erst nach wiederholter Kritik etwas von den Athletensprecherinnen gehört.
Bei diesem Umgang entsteht der Eindruck - auch wenn es vielleicht nicht so ist - dass es ihnen absolut gleichgültig ist! Oder wie soll ich dieses Verhalten verstehen?
Mir ist es wichtig, dass die Athle-ten/Athletinnen über diese Dinge Bescheid wissen.
Ich hoffe extrem fest, dass die Bahn Altenberg sowie die IBSF wenigstens ihre Schlüsse aus dem Unfall ziehen und die Sicherheit drastisch verbessert wird! Wenn ich im Dezember das Rennen in Altenberg mitverfolgen werde und ein Schlitten stürzt, hoffe ich, diesen nicht zurückrutschen zu sehen. Falls die Sicherheit aber nicht verbessert wird und man so weitermachen will wie bis anhin, würde ich mich schon fragen, welchen Stellenwert die Gesundheit der Athleten/Athletinnen für die Verantwortlichen hat und ob ich unter diesen Umständen wirklich wieder Bobfahren möchte.
Vielen Dank fürs Lesen!
Sandro Michel
Bild: Sandro Michel